Lemberg – Erinnerungen an eine gute Zeit
Lemberg, das heutige Lwiw in der Ukraine war die viertgrößte Stadt im Habsburger Kaiserreich, Hauptstadt Galiziens und ein bedeutendes jüdisches Zentrum. Der große “Rynok” ist für mich einer der schönsten Marktplätze der Welt.
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Ein Ausflug in die Geschichte.
Nach der Zerstörung des Kiewer Reichs durch die Mongolen fiel Lemberg um das Jahr 1350 an Polen. Nach dem die Stadt von König Kasimir die “Magdeburger Stadtrechte” erhalten hatte, siedelten sich deutsche Christen und Juden an und Deutsch wurde für 200 Jahre Amtssprache. Auch Armenier erhielten Privilegien von Kasimir und wanderten zu. Die Stadt erblühte.
Nach der ersten Teilung Polens wurde Lemberg im Jahr 1772 österreichisch. In der Kaiserzeit entwickelte sich das heutige Stadtbild. Zwischen den Weltkriegen von 1918 – 1939 gehörte Lwów mit einem mehrheitlich polnischen Bevölkerungsanteil von über 50 % zu Polen. 1939 wurde das Gebiet in die Sowjetunion eingegliedert. 1941 nach dem Einfall der Deutschen Wehrmacht wurden 130.000 Juden der Stadt in Konzentrationslagern umgebracht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die polnische Bevölkerung von den Sowjets vertrieben und siedelte sich großteils in Schlesien an, aus dem wiederum die deutsche Bevölkerung vertrieben worden war. Ukrainer bildeten bald die Bevölkerungsmehrheit in Lemberg. 1991 wurde die Ukraine selbstständig.
Anreise mit Lufthansa.
1.Tag / 16. Juli 2009: Der neue Direktflug von Lufthansa nach Lemberg ist für mich ein Ansporn, eine neue Stadt zu entdecken. Am Abfertigungsschalter in München wusste die Mitarbeiterin von Lufthansa drei Monate nach Einführung noch nichts von der neuen Verbindung ihrer Gesellschaft und war erstaunt. Aber wie im Sommer-Flugplan vorgesehen, hob die Maschine pünktlich um 09:25 Uhr ab und landete um 12:15 Uhr in der Westukraine.
Die erste Überraschung brachte ein Blick aus dem Fenster, steht das Flugzeug doch vor einem Flughafengebäude im Zuckerbäckerstil, an der Front verziert von 12 dorischen Säulen.
Leider lässt sich der bei meinem Hotel bestellte Transfer nicht sehen, so dass ich gezwungen bin ein Taxi zu nehmen. Die Fahrt dauert nicht lange, sind es doch nur sechs Kilometer in die Stadt.
Das “Hotel Dnister” ist ein Plattenbau, liegt aber sehr ruhig direkt am Iwan-Franko-Park und hat eine schöne Terrasse im ersten Stock mit Blick aufs Grüne – hier wird auch das Frühstück serviert.
Ein Spaziergang durch den Park zur Universität und zur Oper.
Direkt vor dem Hotel befindet sich der Eingang zum Iwan-Franko-Park. Ein schöner Spazierweg führt hinunter zur Universität, die bereits im Jahr 1661 gegründet wurde.
Am Ausgang der Gartenanlage gegenüber der Uni befindet sich ein nettes Freiluftcafé und ich gönne mir dort ein kühles Bier. Dann laufe ich weiter und erreiche nach fünf Minuten den Freiheitsplatz.
Am nördlichen Ende steht das im Jahr 1900 eröffnete Opern- und Baletthaus. Besonders prächtig ist das Spiegelfoyer im Inneren. Rund um den Platz befinden sich einige schöne Cafés und Restaurants. Stadtplan.
2. – 5. Tag / 17. – 20. Juli 2009:
Auf dem Weg zum Bahnhof.
Westlich des Hotels erstreckt sich ein gepflegtes, gutbürgerliches Wohnviertel bis zum Polytechnischen Institut.
Die alte technische Hochschule zog 1870 in die neu errichteten Gebäude an diesem Platz ein. Die Hochschule hat heute 33.000 Studenten. Ich laufe weiter den Hügel hinauf zur Griechisch-Katholischen St.-Georgs-Kathedrale.
Das Gotteshaus wurde von 1744 bis 1770 im Spätbarock erbaut. Direkt vor der Kirche befindet sich eine Haltestelle der Straßenbahn. Auf der Strecke werden ausgemusterte Wagen aus Erfurt und Gera eingesetzt.
Ich hatte gestern am Freiheitsplatz schon ein Fahrscheinheft gekauft und steige in die Linie 1 ein, mit dem Fahrziel: вокзал. Das heißt auf Ukrainisch Bahnhof und der ist eines der bedeutendsten Eisenbahngebäude Europas.
Das Empfangsgebäude ist eine neoklassizistische Zweiflügelanlage mit Dekorationselementen des Jugendstils. In der Mitte liegt der Hauptsaal mit einer großen Kuppel und die zwei Flügel sind mit kleineren Kuppeln versehen. Die Wartehalle für die Erste Klasse wurde nach englischem Vorbild mit dunklen Möbeln, wie sie auch die Wiener Werkstätten fertigten, ausgestattet. Die Möblierung für den Wartesaal der Zweiten Klasse hatte als Vorbild die Bürgerhäuser Galiziens, während der der Dritten Klasse mit einfachen Holzmöbeln im Zakopane-Stil eingerichtet wurde.
Dieser im Jahr 1903 fertiggestellte Bahnhof wurde von bekannten Architekten der Donaumonarchie, wie Otto Wagner, zum Vorbild für spätere Bauten von Empfangsgebäuden genommen, etwa in Prag und Wien. Es fährt gerade der Expresszug von Zagreb nach Moskau ein. Er bewältigt eine Strecke von gut 2.200 Kilometern. Stadtplan.
Der schönste Marktplatz der Welt – der Lemberger “Rynok”.
Rund um das Rathaus stehen 45 Stadthäuser aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. An der Ostseite des quadratischen Platzes stehen die schönsten Häuser, allen voran das Haus Rynok № 6, ein Renaissancegebäude im italienischen Stil mit einem wunderschönen Innenhof, 1580 für einen reichen griechischen Kaufmann erbaut.
Im Hof befindet sich ein Café. Das “Schwarze Haus” gleich daneben, Haus № 4, wurde 1588 fertiggestellt und trägt seinen Namen wegen der dunkel gewordenen Fassade.
Haus № 2 wird Bandinelli-Palast nach dem ersten Posthalter Lembergs genannt, der es ebenfalls im Renaissancestil erbauen ließ.
Der Lubomirski-Palast im Rokokostil an der Ecke zur Ruska-Straße trägt die Hausnummer 10 und war Sitz der Gouverneure des österreichischen Kronlandes Galizien. An der inneren Platzecke steht der Diana-Brunnen vor dem Rathaus.
Die Häuser Haus № 11-22 bilden die Südseite des Marktplatzes, vor denen die Trambahnlinien 1, 2 und 9 ihre Haltestelle haben.
Am Neptunbrunnen geht der “Rynok” in den Domplatz über. Die “Lateinische Kathedrale Mariae-Himmelfahrt” ist die Hauptkirche des Erzbistums Lwiw der römisch-katholischen Kirche. Ihr Grundstein wurde schon im Jahr 1349 gelegt. Der Bau wurde 1481 fertiggestellt.
Auf der Westseite des Marktplatzes befinden sich die Bürgerhäuser № 23-33 (Titelfoto). Am Brunnen der Amphitrite gibt es einen Bierausschank mit einer mit bequemen Sitzmöbeln ausgestatteten Holzterrasse – mein Lieblingsplatz auf dem “Rynok”. Ganz Lemberg, vorwiegend junges Volk, flaniert hier vorbei.
Die nordwärts gelegene “Armenische Marienkathedrale” von 1363 verströmt orientalisches Flair. Die Westseite des Marktes bilden die Häuser № 34 – 45, angefangen mit dem Restaurant Centaur bis zum Postgebäude auf № 43.
Hier steht auch der Adonis-Brunnen, als vierter Brunnen auf dem Rynok mit Figuren aus der griechischen Mythologie. Die vier Brunnen wurden im Jahr 1793 gestaltet. Mehr als 250 Jahre alt ist das Apothekerhaus gegenüber, es beherbergt das Apotheken-Museum.
Die Altstadt steht unter dem Schutz des UNESCO Weltkulturerbes. Die Begründung der Kommission lautete: “Mit seiner städtischen Struktur und Architektur ist Lemberg ein herausragendes Beispiel für die Verbindung von architektonischen und künstlerischen Traditionen Osteuropas mit denen Deutschlands und Italiens.” Plan Rynok.
Die östliche und südliche Altstadt:
Vor der Dominikanerkirche aus dem 18. Jahrhundert steht im Schatten der Bäume das Denkmal für den Maler Nikifor. Ich steige zum Pulverturm hinauf und von dort hinunter zum Arsenal an der ehemaligen Stadtmauer.
Gleich dahinter befindet sich das jüdische Restaurant “Zur Goldenen Rose”, das mich an die große jüdische Vergangenheit der Stadt erinnert. Ich lasse mich zum Mittagessen im gemütlichen Gastraum nieder und bekomme ein koscher gekochtes galizisches Mahl serviert, das mir sehr gut schmeckt.
Am Rand der Altstadt besichtige ich zum Schluss noch die St.-Andreas-Kirche, die im ehemaligen Bernhardiner-Kloster, erbaut in den Jahren 1600 bis 1630, untergebracht ist. Stadtplan Lemberg.
Nach vier wundervollen und erholsamen Sommertagen in dieser bemerkenswerten Stadt bringt mich Lufthansa um 13:15 Uhr wieder zurück nach München.
Diese Reise fand im Juli 2009 statt. Ich reiste allein. Dieser Beitrag wurde auf Grund des Krieges in der Ukraine im April 2022 überarbeitet. Der gewohnte Serviceteil in meinen Beiträgen wurde hier vorübergehend entfernt.
* In Gedenken an die Opfer und Vertriebenen dieses Krieges *
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